Geld verdienen mit der Angst der Frauen

Nein, in Delhi bleibe ich nicht lange“, sagt Anne. „Nur genau so lange, bis wir unsere Weiterfahrt zum Taj Mahal organisiert haben. Und abends gehe ich nicht aus dem Hotel.“ Anne ist 23, für ihr Alter schon weit gereist, und Australierin. Vor der indischen Hauptstadt aber hat sie Furcht. „Ich glaube nicht, dass mir etwas passiert. Aber natürlich hört man all diese entsetzlichen Geschichten über Vergewaltigungen.“ Sie kosten Indien Ansehen. Und sie kosten bares Geld – denn Touristen überlegen, seit die Berichte über die Angriffe auf Frauen nicht mehr abreißen wollen, ob sie das Ganges-Land mit seinen Kulturschätzen noch besuchen. Um nur noch 3 Prozent wuchsen die Gästezahlen in Indien im vergangenen Jahr – so langsam wie zuletzt im Jahr der Finanzkrise 2008.

Sicherheit ist ein riesiges Thema. Die Angriffe auf Fremde beschädigen Indiens Ansehen in der Welt“, sagt Parvez Dewan, einer der Spitzenbeamten im Touristenministerium. 2012 war die Zahl der Touristen im Jahresvergleich noch um fast 6 Prozent gestiegen, 2011 verbuchte der bunte Subkontinent ein Plus von mehr als 9 Prozent. Dabei wären die Gäste für Indiens leidende Wirtschaft wichtiger denn je: Zum einen als Botschafter für ein Land, das zuletzt fast nur schlechte Nachrichten produzierte. Zum anderen bringen sie Geld: Rund 6 Prozent dürfte der Tourismus zur gesamten Wirtschaftsleistung des Subkontinents beisteuern.

Atul Taondon bekommt die Folgen der Furcht täglich zu spüren. Der Geschäftsführer des Traditionscafés Wenger & Co am Connaught Place in Delhi klagt „Seit der Gruppenvergewaltigung hier vor gut einem Jahr hat sich vieles geändert. Wir haben deutlich weniger Touristen als Kunden. Unser Sortiment haben wir nun angepasst – wenige Törtchen und mehr gefüllte Teigtaschen für unsere indischen Kunden.“ Das Reisebüro Discover India in Delhi erklärte, sein Umsatz sei gegenüber 2012 um 60 Prozent gesunken.

Geld verdienen mit der Angst

Doch auch mit der Angst der Touristinnen lässt sich Geld verdienen. So hat etwa Anubhav Khiwani aus der Furcht eine Geschäftsidee gemacht. Der quirlige Dreißigjährige sitzt im neuen Starbucks Cafe in Delhis Zentrum, blickt sich um und sagt: „Schauen Sie, hier prallen Welten aufeinander. Wenn wir Touristinnen nach Indien bekommen wollen, müssen wir ihnen Sicherheit bieten.“ Die lässt er sich gut bezahlen: Der frühere Mitarbeiter der Unternehmensberatungen PWC und Cap Gemini hat die Sicherheitsfirma Denetim Services gegründet.

Damit bietet er nicht nur Reichen und Schönen Bodyguards, sondern wendet sich auch an die ganz normale Touristin. „Für 24 Stunden dezenter Begleitung stellen wir 100 Dollar in Rechnung“, sagt Khiwani. „Hinzu kommen Hotel, Essen und Transport. So kommt eine Frau auf rund 140 Dollar täglich, wenn wir ihre Sicherheit garantieren.“Viele Kundinnen hat er bislang noch nicht. Wenn aber, dann war es eine lange Betreuung: „Wir haben auch schon Aufträge über eine ganze Indien-Reise über 15 Tage gehabt, von Flugplatz bis Flugplatz“, sagt er.

Khiwani setzt auf die Angst: „Die Vergewaltigung vom Dezember 2012 hat alles verändert. Ausländer liebten Indien und tun dies immer noch, aber die Nachrichten machen ihnen Angst. Die leeren nächtlichen Straßen, die Migranten, die auf dem Bürgersteig schlafen – kehrt eine gut gekleidete Frau hier von einer Party heim, klingt es nach Verderben, denn niemand scheut sich, die Situation auszunutzen“, heißt es auf der Internetseite seines Unternehmens. Auch andere verstehen, mit den Ängsten der Frauen Geld zu verdienen; Hilfe und Geschäftemacherei reichen sich die Hand.

Die staatliche Waffenfabrik Indian Ordnance Factories stellt in Kanpur einen „Damenrevolver“ her. Er trägt den Namen Nirbheek („furchtlos“), nach dem Kosenamen, der der 2012 bestialisch ermordeten Inderin nach ihrem Tod verliehen wurde. Der Name ist auf dem Lauf eingraviert. „Die Waffe besitzt eine Titanlegierung und einen Holzgriff, der richtig gut aussieht“, preist Abdul Hameed, der Geschäftsführer der Fabrik in Kanpur, die Entwicklung. Das „Leichtgewicht“ kostet 122360 Rupien (1466 Euro) und kann direkt bei der Fabrik bestellt werden. Ausgeliefert wird die Pistole in einem dunkel-violett bezogenen Kasten.

Allerdings kann sie sich kaum eine Inderin leisten: Denn eine Fabrikarbeiterin verdient nur rund 4000 Rupien im Monat. Waffen oder Bodyguards sind nur etwas für die Oberschicht, dem Rest der Inderinnen bleibt allenfalls das Vertrauen auf Pfefferspray oder einen Selbstverteidigungskurs. Anbieter billiger Sprays und Schulen für Kampftechniken verbuchen hohe Zuwächse. Genauso wie Transportunternehmen, die versprechen, die Mitarbeiterinnen auch westlicher Konzerne nach der Schicht sicher nach Hause zu geleiten. „Wir werden eine Viertelstunde nachdem wir zu Hause angekommen sind, von unserem Transportteam angerufen, um zu prüfen, ob alles glattgegangen ist.

Sind wir die Letzten, die abgesetzt werden, begleiten uns der Fahrer und ein Sicherheitsmann“, erzählt die Mitarbeiterin eines global tätigen Unternehmens in Bangalore. Und dennoch ist Vorsicht geraten: „Ich besuche unsere künftigen Bodyguards zu Hause, schaue, ob sie verheiratet sind und Kinder haben, prüfe sogar ihre Nachbarn“, sagt Khiwani. „Erst so kann ich mir langsam ein Bild von ihnen und ihrer Zuverlässigkeit machen. Das Schlimmste für mich wäre, wenn sie im Dienst versagten oder ihren Job ausnutzten.“